(Obsoletes) iX-Editorial 8/2005

Copyklau

Du, ich hab da eine tolle Geschäftsidee: Da braucht's lediglich ein bisschen Hard- und Software. Das mit der Hardware wird bestimmt nicht einfach, aber da lässt sich bestimmt bei irgendeiner der taiwanischen Schmieden was passendes finden für die Appliance, die mir vorschwebt. Na, und wenn das Geschäft erst mal brummt, bau ich meine Produktlinie aus und lass mir halt in China extra was anfertigen.
  Die Software? Na, das ist doch überhaupt kein Problem, gibt's doch im Netz überall. Sogar kostenlos! Man braucht nur das Betriebssystem mit diesem süß dreinblickenden Smoking-behäuteten Maskottchen ein wenig auf das anzupassen, was aus Fernost kommt. Das Drumherum ist auch im Netz. Den Rest stricken meine Praktikantenentwickler dran. Sicherheit? Hmm, ist doch auch kein Thema.
  Wie, die Software hat eine Lizenz? Ich dachte, die wäre umsonst und keine Cripple- oder Shareware wie unter Windows. Man muss den Lizenztext nur beilegen? Wenn's weiter nichts ist. Wie, auch noch meine Quellen oder einen deutlichen Hinweis, wo diese zu bekommen sind? Na, jetzt hört's aber auf! Da kann ja jeder von mir abgucken. Ach, dann erzähl ich's halt niemandem, was da drin werkelt. Wie, Fortinet vor dem Kadi? Aha. Und nur die GNU-Quellen muss ich veröffentlichen und nicht meine eigenen? Hmm, da muss ich noch mal drüber nachdenken.


Diese fiktive Konversation eines Linux-Appliance-Herstellers in spe kristallisierte sich in den Synapsen des Testers parallel zur Untersuchung der Konsolenserver in diesem Heft. Schön, dass eine Vielzahl von GNU-Programmen inklusive des Linux-Kernels derartig vielseitig einsetzbar sind und davon auch Gebrauch gemacht wird. Doch dürfte es deren Entwicklern sauer aufstoßen, wenn sie im Handbuch an prominenter Stelle lesen, dass der Hersteller ein Copyright für die Appliance beansprucht und Windows ein Markenzeichen von Microsoft ist. Und wo ist bitte schön das Copyleft der Basis des Ganzen?
  Die stillschweigende, gar heimliche Nutzung von Open-Source-Software ist leider häufig die Regel, der per Lizenz unabdingbare Hinweis auf die GPL und den Quellcode die Ausnahme.
  Noch jedenfalls. Immerhin hatten zwei der sieben Anbieter einen Auszug der GPL mit Link in ihrem Handbuch. Einer packt seit Kurzem den vollen Text mit auf die CD und stellt GPL-gemäß die Quellen im Web zur Verfügung. Der Rest reagierte nach einem oder mehreren dezenten Hinweisen auf die Vendor-FAQ von gpl-violations.org unterschiedlich: Von einer Entwicklungschefin aus Boston kam prompt am nächsten Tag ein professionell wirkendes "commitment" zurück, bei zweien dauerte es nur drei Tage. Drei Anfragen an den Entwicklungsleiter benötigte die letzte Firma im Bunde. Genau diese schluckte übrigens kürzlich eine andere, die Linux-basierte KVM-Lösungen – nicht GPL-konform – unters Volk brachte.
  Immerhin scheinen die Hinweise bei einigen Herstellern ins Bewusstsein gerückt zu haben, dass sie Software Dritter verwenden, deren Einsatz an Lizenzbedingungen geknüpft ist. Hierzulande ist deren Einhaltung sogar rechtlich einforderbar; eine Nichtbeachtung könnte schlimmstenfalls einen vorläufigen Verkaufsstopp zur Folge haben. Bleibt zu hoffen, dass die schnellen Zusagen mehr als Lippenbekenntnisse waren.


Copyleft 2005-2008  Dr. Wetter IT-Consulting